Die vier Dimensionen des People Empowerment

Michael Wuensch
8 min readDec 12, 2023

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Wie Führunsgkräfte die Selbstbestimmheit von Mitarbeitenden fördern

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»Papa, ich will selber machen.« sagt meine Tochter. Sie nimmt mir Messer und Gabel aus der Hand, mit denen ich gerade umständlich versuche, ihr Gemüse zu zerteilen. Eifrig beginnt sie, den Brokkoli zu bearbeiten. Egal, womit ich ihr helfen will, immer wieder höre ich: »Selber machen, selber machen!«
Das Streben nach Selbstbestimmung ist ein universelles menschliches Bedürfnis. Menschen wollen selbst entscheiden, wie sie leben. Und wie sie arbeiten. Wobei wir beim Thema dieses Artikels wären: Er handelt davon, wie Führungskräfte ihre Mitarbeitenden zu mehr Selbstbestimmtheit führen. Er zeigt ein Framework, mit dem jede Führungskraft — egal welcher Branche und welcher Hierarchiestufe- Mitarbeitende empowern kann. Es werden außerdem Gründe benannt, an denen Empowerment immer wieder scheitert. Ach, und es kommen kleine Teufelchen vor.

Warum Mitarbeitende empowern

Weil sie es fordern? Oder weil Du Dich selbst nach Entlastung sehnst? Vielleicht willst Du ja Dein ganzes Unternehmen agiler machen. Weißt du was, eigentlich ist es egal. Empowerment zahlt nämlich auf all das ein. Es ist diese einfache Idee: Verantwortung und Macht wird von wenigen auf viele verteilt. Die Idee ist gut, simpel — und alt. Warum sind wir da nicht schon weiter? Es ist, als ob jedes Mal, wenn jemand »Empowerment« sagt, kleine Teufelchen geweckt werden, die das Vorhaben zu Nichte machen wollen. Sie schleichen sich an Führungskräfte heran und flüstern ihnen allerlei Unsinn ins Ohr. Eines von ist, Trommelwirbel,…

Das Teufelchen der Eindimensionalität

Aber was heißt hier Teufelchen? Das ist ein aufgewachsener Dämon, mindestens ein Abteilungsleiter im großen Menschen-klein-halten-Gewerbe. Er verführt Führungskräfte dazu, die Komplexität von Empowerment stark zu vereinfachen. Er macht sie glauben, dass nur einzelne Themenbereiche bearbeitet werden müssten. Für andere Notwendigkeiten macht er sie blind. Dieses Teufelchen tritt in verschiedenen Erscheinungen auf. Gerne als…

  • …sachlicher Restrukturierer (meist in Form eines Senior Beraters einer großen Wirtschaftsberatung): »Ihr müsst Eure Aufbauorganisation restrukturieren. Ihr braucht Gilden statt Abteilungen und cross-funktionale Teams statt Fachbereiche«
  • …Methoden-Meisterin: »Ihr braucht einfach agile Tools. Daily Stand-Ups, Retrospektiven und Design-Thinking-Workshops. Dann läuft’s!«
  • …New-Work-Philoph: »Mindset ist alles. Wenn ihr eine neue kollektive Haltung entwickelt, wird alles andere folgen.«

Ich habe nichts gegen die genannten Maßnahmen. Gegen die Leute schon gar nicht. Das Problem ist nicht was gemacht wird, sondern was nicht gemacht wird. Das Muster ist immer gleich: Einzelne Themenbereiche werden bearbeitet. Oft sogar richtig gut. Da andere jedoch unbehandelt bleiben, verringert sich die Wirkung der Maßnahmen. Manchmal verpufft sie sogar ganz. Eigentlich gar nicht verwunderlich: Die größte Freiheit von Mitarbeitenden bringt wenig, wenn sie in unterschiedliche Richtungen laufen. Die kompetentesten Experten helfen nicht viel, wenn am Ende doch alles die Geschäftsführung entscheidet. Diese fehlende Ganzheitlichkeit ist einer der häufigste Grund für gescheitertes Empowerment, frustrierte Führungskräfte und verwirrte Mitarbeitende.

Die vier Dimensionen des Empowerment

Okay, hier fett gedruckt: Empowerment braucht Ganzheitlichkeit. Dein Job ist es, alle Notwendigkeiten unter einen Hut zu bringen. Damit Du nicht den Kopf verlierst, kannst Du Dich an den vier Dimensionen des Empowerment entlang hangeln.

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Bereitschaft/ Das Wollen

Man könnte meinen, dass niemand wirklich etwas gegen Empowerment hat. Mitarbeitenden skandieren nicht lauthals gegen mehr Mitbestimmung und Vorgesetzten schmollen nicht, weil ihre Unterstellten mehr Verantwortung übernehmen wollen. Eigentlich. Denn was auf kognitiver Ebene total sinnvoll daher kommt, sieht auf emotionaler Ebene oft anders aus. Wenn zum Beispiel der Managerin klar wird, dass sie Einfluss auf Entscheidungen verliert. Oder das Teammitglied befürchtet, dass mit der neuen Budgetverantwortung auch immenser Erwartungsdruck einhergeht.
Die Kernfragen in dieser Dimension lauten: Ist die Führungskraft bereit, Ihre Macht abzugeben? Wollen die Mitarbeitenden sie auch annehmen? Wenn ja, entsteht ein positiver Antreiber für den Prozess. Fehlt die Bereitschaft, wird das Vorhaben erheblich erschwert. Tauchen Widerstände auf, ist Ursachenforschung angesagt. Drei typische Ursachen von Widerständen in Empowerment-Prozessen sind:

  • Konkurrierende Bedürfnisse, z.B. »Ich möchte zwar mehr Verantwortung, aber ich will auch stressfrei arbeiten« (Mitarbeitende)
  • Hindernde Annahmen, z.B. »Mitarbeitende von heute wollen gar keine Verantwortung.« (Führungskraft)
  • Gewohnheiten, z.B. »Meine bisherigen Kundenberaterin und ich waren eingespieltes Team. Ich möchte mich auf niemand Neues einstellen.« (Stakeholder)

Für die Bearbeitung der Ursachen kann man unterschiedlich vorgehen. Eines haben alle Lösungsstrategien gemein: Erst wenn die Themen auf den Tisch kommen, kann man sie sinnvoll bearbeiten. Leider gibt es keine Garantie darauf, die Widerstände auch aufzulösen.
Wenn Du mehr wissen willst, checke folgende Bücher aus:

  • Robert Kegans und Lisa Laskow Laheys „Imunity to change“ zum Umgang mit konkurrierenden Bedürfnissen und hindernden Annahmen
  • Charles Duhiggs „Die Macht der Gewohnheiten“ zu, naja, Gewohnheiten.

Kontext/ Das Verstehen

»Chaos! Heilloses Durcheinander! Sodom und Gomorrha!« Diese Antworten geben Führungskräfte immer wieder, wenn ich frage: »Was würde passieren, wenn Deine Mitarbeitenden von heute auf morgen alles selbst entscheiden dürften?« So übertrieben diese Aussagen erscheinen mögen, es steckt etwas Wahres drin: Es besteht die Gefahr, dass selbstbestimmte Mitarbeitende in unterschiedliche Richtungen laufen.
Bei herkömmlicher Command & Control-Führung übernimmt die Führungskraft die Ausrichtung und Abstimmung der Teamplayer. Sie kann das tun, weil sie den besseren Überblick hat. Big Picture und so. Sollen die Teammitglieder unabhängig arbeiten, brauchen sie Orientierung. Dein Job als Führungskraft ist es, diese Orientierung zu bieten. Wenn Du Dich fragst, wo Du anfangen sollst, hier meine Top 3:

  • Purpose
    Ich weiß, ein überstrapazierter Begriff. Ich meine damit nicht Wir-Retten-Die-Welt-Martketing-Purpose, sondern den Zweck der jeweiligen Organisationseinheit. Schlicht und einfach. Und trotzdem so kraftvoll. Der Purpose gibt langfristige Orientierung.
  • Ziele
    OKR, MBO oder WTF. Welche Ziele Du auch hast, lass sie Deine Mitarbeitenden verstehen. Im Tandem mit dem Purpose funktionieren kurzfristige Ziele besonders gut: Purpose für langfristige Orientierung, Ziele für kurzfristige Steuerung. Je ernster du das mit dem Empowerment nimmst, desto mehr bindest Du Deine Mitarbeitenden in die Zielfestlegung ein.
  • Umfeld
    Deine Teammitglieder sollten sich der Zusammenhänge zwischen ihrem Verantwortungsbereich und ihrem Umfeld bewusst sein. So können sie ein Verständnis entwickeln, wie sich ihre Entscheidungen auf andere (z.B. die Nachbarabteilung) auswirken. Die gemeinsame Erstellung einer Stakeholder Map ist ein wunderbares Mittel, um das Bewusstsein für das Umfeld zu stärken.

»Super, das ist an einem halben Workshop-Tag erledigt!« magst du jetzt rufen. Stimmt sogar, wenn du alle Informationen parat hast. Denk aber daran, dass einmalige Information nicht reicht. Selbstbestimmte Mitarbeitende benötigen permanent Zugang zu relevanten Informationen.
Die Kernfrage in dieser Dimension ist daher: Was müssen Deine Mitarbeitenden wissen, um gute Entscheidungen treffen zu können?

Kompetenz / Das Können

Selbstbestimmt handelnde Mitarbeitende sollten was können. Verdammt naheliegend. Wenn ihre Fähigkeiten noch nicht auf dem notwendigen Niveau sind, brauchen sie passende Entwicklungsmaßnahmen. Trainings on-the-Job, off-the-Job, near-the-Job; Coachings, in der Gruppe und einzeln; Workshops. Du kannst Dich der ganzen Klaviatur der Mitarbeiterentwicklung bedienen. Neben der Fachkompetenz spielen allgemeine Fertigkeiten eine wesentliche Rolle. Die folgenden sind aus Empowermen-Sicht besonders relevant:

  • Kommunikation
    Selbstbestimmt zu arbeiten heißt nicht, sich nicht mehr abstimmen zu müssen. Ganz im Gegenteil, der Kommunikationsbedarf der Einzelspieler steigt sogar. Ist wie bei einem Vogelschwarm: jeder Vogel kommuniziert mit den Vögeln um sich herum. Sonst heißt es Federn lassen. Ein Training im Feedback-Geben und -Nehmen wäre das erste Traning, das ich anbieten würde. Sobald Mitarbeitende wissen, wie sie Schwierigkeiten ansprechen können, brauchen sie weniger Hilfe von aussen. Und das ist ja das Ziel.
  • Entscheidungen treffen
    Wer selbst entscheidet, sollte sich damit auskennen. Und zwar nicht nur mit der jeweiligen Materie, sondern mit dem Entscheiden an sich. Es gibt etliche kognitive Verzerrungen, Heuristiken und Dynamiken, die gute Entscheidungen erschweren. Erstaunlicherweise ist das Wissen darüber selbst unter Top-Entscheidern oft gering. Trainings und Coachings können helfen, das eigenen Denken (und die eigenen Denkfehler) besser zu verstehen und Methoden für verschiedene Situationen zu erlernen.
  • Teamwork
    Je weniger Chefinnen und Chefs sich einmischen, desto mehr übernimmt das Team die Regulierungsfunktion. Da hilft es, wenn die Teamplayer Kenntnisse über gut funktionierende Teams haben. Wenn du dazu mehr lesen willst, schau mal hier: House of Teams.
    Genauso hilft es, wenn sie passende Methoden fürs tägliche Arbeiten kennen. Aber Achtung: Ich habe auch schon selbstorganisierte Teams erlebt, die es mit den Methoden übertreiben. Da werden sie erst mühsam ihre Vorgesetzten los, nur um sich dann dem Joch der Methoden zu unterwerfen. Auch nicht so geil.

Struktur/ Das Dürfen

Die Lieblingsdimension der Unternehmens-Transformierer und Top-Strategen. Endlich können sie sich mit Sachthemen befassen (und nicht mit diesen emotionalen Menschen)! Es ist aber auch die unbeliebteste bei Führungskräften, für die Empowerment nur ein Lippenbekenntnis ist. Werden Strukturen angepasst, wird es nämlich offiziell: Mitarbeitende dürfen mehr als vorher. Keine Frage also, selbstbestimmt handelnde Mitarbeitende brauchen klare Strukturen. Sie bilden den Rahmen, der ihre Autorität manifestiert. Die folgenden Strukturthemen solltest Du überprüfen:

  • Rollen/ Aufgaben
    Empowerment verändert, wie Menschen zusammenarbeiten. Wenn nicht, kannst Du es Dir sparen. Es braucht daher ein Update der Verantwortungsbereiche und der Aufgabenverteilung. Gegebenenfalls mündet das Empowerment auch in der Anpassung von Jobtiteln und Über-, bzw. Unterstellung von Mitarbeitenden.
  • Befugnisse
    Welche Entscheidungsgewalt haben Deine Mitarbeitenden? Über wie viel Budget dürfen sie zum Beispiel verfügen, welche Verträge dürfen sie unterschreiben, welche Anweisungen geben? Die richtigen Antworten zu definieren, ist teilweise aufwendige Kleinarbeit. Sie gibt Deinen Mitarbeitenden aber die nötige Sicherheit für selbstbestimmtes Handeln.
  • Informationsfluss
    Wie kommen Deine Mitarbeitende an relevante Informationen? Welche können sie sich selbst ziehen und welche müssen ihnen zugesandt werden? Möglicherweise braucht es hier neue Zugänge oder Verteiler. Achte darauf, nicht überall in Kopie zu bleiben. Sonst kommst du nie raus, aus dem Info-Overload. Und Deine Mitarbeitenden fühlen sich nie ganz verantwortlich.

Die drei genannten Punkte sind fast immer anzupassen, wenn das Empowerment voran schreitet. Und dann gibt es noch das Org-Chart, quasi die Mutter der Organisationsstruktur. Großangelegte Empowerment-Initiativen greifen mitunter radikal hier an. Auch das ist legitim. Umso wichtiger ist es dann, die anderen Dimensionen ordentlich zu bearbeiten..

Die vier Dimensionen durchlaufen

Grundsätzlich kannst Du in jeder Dimension anfangen. In der Praxis hat sich folgende Reihenfolge bewährt:
Als erstes überprüfst Du die Bereitschaft, erkennst Antreiber und baust soweit möglich Widerstände ab. Bei dir, bei deinen Mitarbeitenden und gegebenenfalls bei anderen Beteiligten.
Im zweiten Schritt gibst Du Kontext, damit deine Mitarbeitenden die Richtung und Zusammenhänge ihres Einflussbereiches verstehen.
Im dritten Schritt hilfst du Deinen Teammitgliedern, die nötigen Kompetenzen aufzubauen.
Im vierten und letzten Schritt passt Du die Strukturen an die neuen Möglichkeiten an.
Meistens sind die Dimensionen unterschiedlich ausgeprägt. In manchen gibt es mehr zu tun als in anderen. Dementsprechend benötigt man unterschiedlich viel Zeit und Aufwand pro Dimension. Das ist normal.

Der Empowerment Plan

Und, kribbelt es Dir schon in den Fingern? Dann legst Du am besten mit dem Aufsetzen einer Empowerment-Strategie los. Keine Angst, ich meine nicht eines dieser 100-seitigen Strategiepapiere, die eh nie jemand liest. Ich meine einen One-Page-Plan.
Hier gehts zur Bit-by-Bit-Anleitung für das Aufsetzen Deines Empowerment-Plans.
Und dann heißt es umsetzen: Ausprobieren, analysieren, anpassen. Von vorn. Verzage nicht, wenn nicht alles auf Anhieb klappt. Empowerment ist ein Prozess, kein Schalterumlegen.

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Michael Wuensch
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Written by Michael Wuensch

Partner at BRIDGEHOUSE. Thinks, consults, and writes about leadership.

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